Um es vorwegzunehmen, Stargast an diesem Samstag war Anna Leberer, die am 19. September ihren 100. Geburtstag gefeiert hatte. Vor 66 Jahren liessen die Geschwister Maria, Anna und Josy ein Haus bauen und nahmen in der Folge Kinder mit teils schwerer Beeinträchtigung auf. Hebamme Maria war die Gründerin, Josy besorgte den Haushalt und Anna kümmerte sich um die Kinder.
Mit dem Zitat des Franziskaners Peter Amendt «Wer Einblick hat, kann verstehen. Wer Durchblick hat, kann entscheiden. Wer Weitblick hat, weiss die Dinge zu lenken.» eröffnete Pius Bernet, seit ein paar Monaten Direktor der Stiftung für Schwerbehinderte SSBL, den Reigen der Ansprachen und begrüsste speziell Anna Leberer. Damals hätten die drei Frauen aus humanistischen, nicht aus religiösen Gründen zu früh geborene Kinder aufgenommen. Nach und nach fanden auch Kinder mit schweren Beeinträchtigungen Aufnahme. Von Schicksalsschlägen gezeichnete Eltern fanden bei Leberers immer eine offene Türe, es gab nie ein Nein. «Die Leberer Schwestern hatten auch den Durchblick», so Pius Bernet. 1985 vertrauten sie ihr Lebenswerk der SSBL an. «Wer Einblick hat, kann verstehen». «Die Kinder der Weidmatt sind heute an einem Ausflug, die vielen Besucher würden sie überfordern. Auf dem Rundgang sind aber viele Fotos aufgehängt.»
Marianne Fölmli aus Geiss, Mutter von drei Kindern, berührte mit ihrer Offenheit die Herzen der Anwesenden. Ihr drittes Kind Aline sei seit der Geburt schwach gewesen und habe keine Körperspannung gehabt. Keine Fachperson habe gewusst, was ihre Tochter habe. Nach vielen schlaflosen Nächten und unzähligen Untersuchungen musste eine neue Lösung gesucht werden. Ihre Familie sei immer mehr am Zerbrechen gewesen. Zuerst sei Aline einen Tag, dann ein Wochenende in der Weidmatt gewesen, später habe sie einen Jahresplatz erhalten. «Dank unserer Aline sind wir als Familie zusammengewachsen. Wir wissen nicht, wo wir heute ohne Weidmatt wären». Ein Riesenapplaus belohnte ihre offenen Worte.
Charles Vincent betonte: «Wir feiern10 Jahre Sonderpädagogik-Konkordat. Seit 2008 hat der Kanton einerseits die Aufgabe, aber auch die Verantwortung über die Sonderschulen. Viele Kantone setzen dieses Konkordat gemäss der Sendung 10 vor 10 am letzten Montag unterschiedlich um, der Kanton Luzern ist da vorbildlich. Das Konkordat beginnt bei der Geburt und dauert bis zur Volljährigkeit. Die frühe Förderung ist wichtig, auch für Kinder mit einer Beeinträchtigung. Das Kinderheim Weidmatt kennt kein nein, sogar Zürcher Kinder werden aufgenommen.» Ein dreifacher Dank ging an die Betreuerinnen und Betreuter, die Verantwortlichen der Stiftung und an Frau Leberer.
Kantonsratspräsidentin Hildegard Meier aus Willisau überbrachte die besten Wünsche des Parlamentes und der Regierung. In einer Familie mit einem Kind mit Beeinträchtigung brauche es einen unglaublichen Spagat, allen gerecht zu werden. Sie habe schon früh Kontakt mit jungen Behinderten gehabt, sei sie doch in der Nähe des Sonnenbühls in Schüpfheim aufgewachsen.
Paul Hummel leitete zum Apéro über. Anschliessend konnte man die Räumlichkeiten im Alt- und Neubau besichtigen. Fachkundiges Personal gab bereitwillig Auskunft, Eltern, die mit dem Tod im Heim konfrontiert waren und ihr Kind im Heim platzieren durften, schilderten ihre Sorgen und Nöte. Eine betroffene Mutter bekam Schuldgefühle, versagt zu haben. «Ein Kind wegzugeben ist ein langer Prozess. Wir spürten viel Empathie bei der Geburt unseres zuerst gesunden Kindes, es gab Personen, die mit uns dann gebrochen haben, weil wir unser Kind in die Weidmatt geben konnten.» «Das verstärkte unsere Schuldgefühle», so der Vater Erhard Widmer.
Das heilpädagogische Kinderheim Weidmatt in Wolhusen bietet Kindern ohne Einschränkung bezüglich Behinderungsart oder Behinderungsgrad seine Dienstleistungen an. Mit gezielter pädagogischer Entwicklungsförderung wird das Kind individuell an seine Lernmöglichkeiten herangeführt. Die Kinder werden ihren Bedürfnissen entsprechend und unter Berücksichtigung ihrer Beeinträchtigung professionell betreut. Dadurch erfahren sie Sicherheit und Halt. Durch die in den Tagesablauf integrierte medizinischpflegerische Betreuung und einer engen Zusammenarbeit mit Fachärzten und dem Kinderspital Luzern kann die Institution eine kompetente pflegerische Unterstützung leisten. Der Aufenthalt variiert von kurzen Ferienaufenthalten bis zur langjährigen Platzierung. Die Weidmatt ist auch ein SOS-Heim für Notsituationen, rund um die Uhr während 365 Tagen im Jahr. Die Kinder kommen aus der ganzen Schweiz. Die Eltern werden entlastet, Termine fallen weg, da die Therapien in der Weidmatt durchgeführt werden können. Auch können sie sich in der Zeit intensiv um die Geschwister kümmern. Sie wissen, dass ihr Kind in der Weidmatt in guten Händen ist.
Im heilpädagogischen Kinderheim Weidmatt werden Kinder mit schweren Behinderungen vom Säuglingsalter bis zur Einschulung während des ganzen Jahres aufgenommen. Es wird mit jeder Familie individuell einen Aufenthaltsplan erstellt, abgestimmt auf deren Bedürfnisse.
Das Heilpädagogische Kinderheim Weidmatt in Wolhusen ist eine Institution, die von den Schwestern Maria, Josy und Anna Leberer 1952 privat ins Leben gerufen wurde. Diese drei emanzipierten Frauen liessen sich ein Holzchalet bauen und nahmen zu frühgeborene Kinder auf. Dies war zu der Zeit recht ungewöhnlich, da die drei Schwestern aus humanistischen Beweggründen und nicht aus religiösen handelten und Frauen waren. Nach und nach fanden immer Kinder mit oftmals schweren Beeinträchtigungen, Aufnahme. Die Eltern
erfuhren in diesen Zeiten wichtige Unterstützung in ihrer erschwerten Erziehungsaufgabe und auch eine zeitweilige Entlastung. Marie Leberer war die Gründerin der Weidmatt, Josy war für den Haushalt zuständig, ihre Schwester Anna zog tatkräftig mit. Sie schenkte den Kindern Zuneigung, Trost und Geborgenheit.
Genau diese Frau konnte am 19. September 2018 ihren 100. Geburtstag feiern. Ins Pflegezentrum Berghof Wolhusen sind wenige Verwandte, einige ehemalige Schützlinge der Frauen Leberer in der damaligen Weidmatt, der gesamte Vorstand der Leberer-Stiftung, Vertreter der Weidmatt, eine Delegation des Gemeinderates und Mitbewohnerinnen Mitbewohner von Frau Leberer in ihrer aktuellen Wohngruppe eingeladen worden. Gemeindepräsident Peter Bigler erwähnte in seiner Ansprache, dass Anna Leberer schon weit früher als die kantonalen Behörden erkannt habe, was dringend nötig sei.
Reto Wyss (Bildungs- und Kulturdirektor des Kantons Luzern) weiss über die Wichtigkeit einer Institution wie das Heilpädagogische Kinderheim Weidmatt und dass dieses Angebot einzigartig ist in der Deutschschweiz. Nachfolgend nimmt er Stellung zur Bedeutung der Institution.
Reto Wyss, die Frühförderung ist eine wichtige Aufgabe in Ihrem Departement. Welches sind die Gründe dafür?
Es ist unbestritten, dass die frühe Förderung einen wichtigen Beitrag für die Entwicklung der Kinder leistet. Insbesondere profitieren von diesen Massnahmen Kinder mit einer Behinderung und auch fremdsprachige Kinder. Im Hinblick auf den schulischen Lernweg erachte ich es als sehr wichtig, dass gerade diese Kinder frühzeitig unterstützt und gefördert werden, denn allfällige Defizite können auch trotz grossem Engagement der Lehr- und Fachpersonen in der Schule nur noch bedingt korrigiert werden. Aus diesem Grund bin ich von der Bedeutung der frühen Förderung sehr überzeugt.
Welche Angebote unterstützt das Bildungs- und Kulturdepartement im Bereich der frühen Förderung?
Für die Kinder mit einem Sprachdefizit unterstützt die Dienststelle Volksschulbildung in Zusammenarbeit mit den Regelschulen die frühe Sprachförderung. Für die Kinder mit einer Entwicklungsbehinderung gibt es vielfältige Angebote. So gibt es die allgemeine heilpädagogische Förderung in der Familie, mehrere heilpädagogische Tagesspielgruppen oder auch spezialisierte Angebote für Kinder mit einer Hör- oder Sehbehinderung. Alle diese Angebote sind ambulant. Zusätzlich unterstützen wir mit einem Leistungsauftrag das Kinderheim Weidmatt für die stationäre Früherziehung für Kinder mit einer besonders schweren Beeinträchtigung oder für Kinder, deren Familien die notwendige Unterstützung nur eingeschränkt leisten können.
Wie ist der Leistungsauftrag mit dem Kinderheim Weidmatt begründet?
Es gibt verschiedene Aspekte. Historisch gesehen gab es neben den Angeboten in kantonaler Trägerschaft schon lange auch solche mit einer privaten Organisationsform. Beide Formen gibt es auch heute noch. Die kantonalen Angebote decken in der Regel die grössere Gruppe ab, während die privaten eher für kleinere Behinderungsgruppen gedacht sind. Diese können sich auch stärker spezialisieren. Dies ist beim Kinderheim Weidmatt auch so. Das Kinderheim wurde im Rahmen einer privaten Initiative der Geschwister Leberer gegründet und später von der Stiftung für Schwerbehinderte Luzern weitergeführt. Das Kinderheim bietet ein hoch spezialisiertes Angebot an, das von Kindern aus der ganzen Deutschschweiz genutzt wird. Mit der privaten Trägerschaft kann das Kinderheim auf die sehr individuellen Bedürfnisse der Kinder sehr flexibel reagieren, und das ist notwendig.
Welches sind die besonderen Eigenschaften des Kinderheims Weidmatt?
Ich bewundere immer wieder die hohe Flexibilität des Kinderheims Weidmatt. Das Angebot richtet sich sehr stark nach den Bedürfnissen der Kinder und Eltern aus. Dies ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Lebenssituationen der Kinder und Eltern ausserordentlich wichtig und hilfreich. Zudem steht das Angebot 365 Tage zur Verfügung, was ebenfalls sehr geschätzt wird. Dieses grosse zeitliche Engagement in Verbindung mit der hohen Fachlichkeit hat dazu geführt, dass das Kinderheim Weidmatt ein zahlenmässig kleines, aber inhaltlich bedeutsames regionales und interkantonales Angebot darstellt. Das beweist die Herkunft der Kinder deutlich.
Was möchten Sie dem Kinderheim Weidmatt für die Zukunft mitgeben?
Ich wünsche mir, dass dieses wichtige Angebot Art beibehalten werden kann, denn es braucht dieses auch in Zukunft. Zudem möchte ich den Verantwortlichen im Kinderheim Weidmatt und in der Trägerschaft der Stiftung für Schwerbehinderte ganz herzlich für Ihr grosses Engagement danken. Interview zVg
Hinweis: Das Interview wurde der Redaktion vom Kinderheim Weidmatt zur Verfügung gestellt.